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Sindy & Martin mit ihrer Patchwork-Familie aus Wien & Niederösterreich.

„Seit ca. 3 Jahren leben wir mitten im Patchwork-Wahnsinn und erleben tagtäglich die Höhen und Tiefen dieser herausfordernden Lebenssituation. Wir haben insgesamt 5 Kinder zwischen 2 und 19 Jahren, 3 Ex- PartnerInnen, sind beide selbstständig und arbeiten Vollzeit. Martin lebt in Waidhofen an der Ybbs, hat bereits 3 Kinder aus 2 vorherigen Ehen (Alter 6, 16, 19 Jahre), Sindy lebt in Wien mit ihrer Tochter aus erster Ehe (10 Jahre) und dem gemeinsamen Sohn (2 Jahre).“

Nach den Scheidungen ungewollt schwanger

„Kurz nach der Trennung von unseren damaligen Ehepartnern, wurde Sindy schwanger. Wir fielen aus allen Wolken. Die gescheiterten Ehen zunächst zu verarbeiten, dafür blieb keine Zeit. Für eine neue Beziehung waren wir beide nicht bereit. Wir hatten zwar starke Gefühle füreinander, Schmetterlinge im Bauch, aber wir wollten alles eigentlich ruhig und langsam angehen lassen. Es kam alles anders. Unser Sohn hatte andere Pläne. Wir starteten unsere Beziehung mit einer Paartherapie, die uns dabei helfen sollte, uns gut auf die neue Situation vorzubereiten. Es war ein Versuch, aber schlussendlich muss man sagen, dass uns die Therapie allein nicht viel gebracht hat – denn unser Wunsch, unsere Zweisamkeit länger auszuleben, war plötzlich aufgrund der Schwangerschaft nicht so möglich, wie wir es uns gewünscht hätten. Die Freude über das gemeinsame Kind war da, jedoch wussten wir auch, dass die Gesamtsituation – der Patchwork-Wahnsinn – unsere Liebe auf die Probe stellen würde.“

Täglicher Patchwork-Wahnsinn

„Das Zusammentreffen aller Kinder zur selben Zeit unter einem Dach war anfangs ziemlich heftig und belastete unsere Beziehung als Paar. Es ist ein enormer Organisations- und Diskussionsaufwand, ein Wochenende zu planen, geschweige denn die Ferien. Die Kommunikation mit allen Beteiligten und die Befindlichkeiten auf allen Seiten immer wieder und wieder zu kompensieren, wirkte auf alle Beteiligten. Viel Streit und eine ständige emotionale Achterbahnfahrt. Es war ein ständiges Auf und Ab. Unsere Liebe zueinander fühlte sich plötzlich schwer an.“

Wir leben zusammen getrennt

„Da wir beide unseren Lebensmittelpunkt nicht aufgeben wollten, ergab sich die Situation, dass wir „getrennte Leben“ mit einem gemeinsamen Kind führen. Immer wieder kam der Gedanke, nach der Geburt unseres Sohns zusammenzuziehen, aber wir verwarfen ihn sehr schnell wieder. Wir möchten nicht zusammenleben. Von 7 Tagen pro Woche leben wir 4 getrennt, aber in dieser Zeit verschwindet die Verbundenheit nicht. Es ist unsere bewusste Entscheidung – da wir es als erleichternd empfinden, dass jeder noch sein eigenes Leben leben kann und sich so den räumlichen Freiraum nehmen kann, wenn er ihn braucht. Wir genießen die Beziehung „getrennt“ voneinander und sind trotz dieser Trennung glücklich miteinander. Glücklich, jeden Tag frei entscheiden zu können, ob wir weiterhin mit dem anderen zusammen sein möchten oder nicht. Das gibt uns beiden ein sehr befreiendes Gefühl. Manchmal fühlt sich das Wiedersehen wie ein Date an und das macht unsere Beziehung aus, da benehmen wir uns wie Teenager. Wir sind beide freiheitsliebende Menschen und haben gemerkt, dass unsere Beziehung durch die regelmäßige Trennung noch stärker geworden ist. Das gegenseitige Vertrauen zueinander ist die Basis für diese Lebensform. Wir glauben daran, dass die herausfordernde Patchwork-Situation mit den zwei Wohnorten leichter zu bewältigen ist und unsere Beziehung dadurch weniger belastet wird. Wir lieben es auch, einmal Zeit alleine zu verbringen und möchten diese Lebensform nicht mehr missen. Wir schätzen die Vorteile der zwei Haushalte und können es uns auch nicht anders vorstellen. Jeder hat seine Freiheiten und hat Tage, wo er auf den anderen Partner keine Rücksicht nehmen muss. Martin liebt die Natur und die frische Luft auf dem Land, Sindy liebt das Stadtleben mit viel Rummel. Es ist für beide spannend und abwechslungsreich, so immer wieder in die Welt des anderen einzutauchen.“

„Wir passen nicht zusammen“

„Die letzten Jahre krachten wir sehr oft und sehr heftig zusammen. Es war sehr schwierig – denn wir haben unterschiedliche Wertevorstellungen, wir haben andere Auffassungen von Erziehung, wir haben verschiedene Ernährungsgewohnheiten, verschiedene Freundeskreise und vieles mehr; die Liste ist lang. Und diese Unterschiede können wir beide getrennt in vollen Zügen ausleben – und das ist wunderschön und macht uns glücklich. Wir passen ja eigentlich gar nicht zusammen – tja, wo die Liebe hinfällt. Durch unsere zuvor gescheiterten Ehen sind wir beide sehr vorsichtig und wollen nicht mehr die gleichen Fehler machen. Uns ist es wichtig, die Beziehung nicht aus einer Notwendigkeit heraus zu führen, sondern als freie Entscheidung.“

„Glücklich, jeden Tag frei entscheiden zu können, ob wir weiterhin mit dem anderen zusammen sein möchten oder nicht. Das gibt uns beiden ein sehr befreiendes Gefühl. Manchmal fühlt sich das Wiedersehen wie ein Date an und das macht unsere Beziehung aus, da benehmen wir uns wie Teenager.“

– Sindy & Martin –

Patchwork Corona-Eklat

„An eine einschneidende Situation können wir uns beide noch sehr gut erinnern: Wir waren seit Wochen im Lockdown, das kleinste Kind erst 1,5 Jahre alt, das 9-jährige Home Schooling-Kind und das 6 jährige Vorschulkind waren mit uns zusammen. Erstmalig alle für eine längere Zeit unter einem Dach, mit einem gemeinsamen Alltag von früh bis spät und die ganzen Nächte, ohne durchzuschlafen. Auf der einen Seite war es wunderschön, das Familienleben in dieser Form zu erleben, aber es war uns dann doch zu viel und der Stress und die Belastung, der Lärm, die Sorgen, die Arbeit, der Haushalt – die Grenze war erreicht. Mitten in der Nacht begann ein Streit zwischen uns und wir konnten es nicht stoppen. Gegenseitige Anschuldigungen, Beleidigungen, Unverständnis und Gebrüll, die Kinder waren noch wach, es war 22 Uhr und es eskalierte soweit, dass ein Teil der Familie das Haus am nächsten Morgen verließ. Die Kinder waren in Sorge, dass wir uns trennen würden. Wir waren beide nicht stark genug, diesen Eklat zu vermeiden. Nach dieser Situation war uns klar, dass wir das so nie wieder erleben wollten und haben daraus gelernt.“

Romantik und die Paarbeziehung

„Wenn wir mal Zeit für uns haben, genießen wir diese mit viel Dankbarkeit. Wir sind sehr glücklich, dass es unseren Kindern zusammen gut geht. Sie sind sich eine gegenseitige Bereicherung und das sehr wir als sehr wertvoll an. Die schönsten Momente, die wir nie missen möchten, sind, wenn wir alle gemeinsam lachen, tanzen, singen, rodeln, Schi fahren oder am Strand spielen. Wenn sich unsere Kinder umarmen und sich freuen, sich wiederzusehen. Wir haben sehr viel Spaß und erleben viele Abenteuer miteinander, zwischendurch fliegen die Fetzen, aber das gehört dazu. Die Kinder finden es ekelhaft, wenn wir uns küssen und deswegen machen wir das umso mehr (lachen). Die Liebe ist da, nur ist uns bewusst, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben und an dieser Liebe festhalten müssen. Wir haben uns entschieden, diesen Weg gemeinsam „getrennt“ zu gehen.“