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Elif, ihr Mann Sabri und der zweijährige Sohn Seyit

Der Druck nach Perfektionismus kann eine Mutter an ihre Belastungsgrenzen bringen. Eine österreichisch-türkische Familie möchte die kulturelle Balance für ihr Kind wahren. Zwei Themen – eine Familie!

Wiener mit türkischen Wurzeln

Elif und ihr Mann Sabri sind Wiener mit türkischen Wurzeln. Elif arbeitet für 25 Stunden in einer Steuer- beratungskanzlei, ihr Mann ist Medizintechnikprojektleiter und arbeitet Vollzeit. Mit ihrem zweijährigen Sohn leben sie in einer 3-Zimmer-Wohnung. Dem Ehepaar war es von Anfang an wichtig, dass ihr Kind mit beiden Kulturen – der österreichischen und türkischen – aufwächst. Bereits bei der Namenssuche hatten sie dies im Hinterkopf: So sollte es ein türkischer Name sein, der für ÖsterreicherInnen leicht auszusprechen ist. Kein leichtes Unterfangen, wie sich im Nachhinein herausstellte. Nach langer Suche wurden sie jedoch fündig und entschieden sich für den schönen, leicht aussprechbaren Namen „Seyit“.

zweisprachigkeit
Ohne Komplikationen aber trotzdem nicht perfekt

Elif verbrachte eine angenehme Schwangerschaftszeit und auch die Geburt verlief ohne Komplikationen. Geburtsvorbereitungskurse, Akupunktur, Atemübungen wurden ordentlich, wie es die Gesellschaft vorgibt, absolviert. Aber schnell nach der Geburt wurde Elif bewusst, dass dies zwar alles gut gemeinte Tipps waren, sie aber nicht zwangsläufig helfen können. So kann auf die Atemtechnik während dem Geburtsvorgang schon mal vergessen werden und die Geburt nimmt trotzdem ihren Verlauf.

Der Druck des Stillens

Den Stillvorgang stellte sie sich als schönen und ruhigen Moment in Zweisamkeit vor. Die Realität traf die junge Mutter jedoch hart: Schlaflose Nächte, stundenlange Stillvorgänge und ständige Übermüdung prägten die ersten sechs Monate mit Baby. Das Kind verlangte auch untertags stundenlang die Brust. (Seyits erstes Wort war „Meme“ – Brust auf türkisch – welch´ Ironie.) Aber Elif stillte eisern bis zum sechsten Monat weiter und verzichtete aufs Fläschchengeben, genau, wie es der „Lehrplan“ empfiehlt, sie wollte alles perfekt machen.

Monate des Vollstillens

Der Druck von außen, das Stillen das Wichtigste wäre, war enorm. Ständig die Frage, ob sie wohl stille und bei Problemen alles probiert hätte?! Nach sechs Monaten des Vollstillens, fühlte sich Elif – mit Beginn der Beikost – endlich wieder „frei“. Sie bereut es im Nachhinein, dass sie so empfänglich für den Druck von außen war und sich in die Rolle der perfekten Mutter drängen ließ: „Ein Kind stillen zu können, hat noch lange nichts mit einer perfekten Mutter zu tun.“

Ein Kind stillen zu können, hat noch lange nichts mit einer perfekten Mutter zu tun.

– Elif –

Man muss es nicht alleine schaffen

Elif wollte in allem perfekt sein. Es alleine zu schaffen, war ihr wichtig: Kochen – Haushalt – Babybetreuung und abends noch Zeit und Power für den Ehepartner haben, dass muss doch schaffbar sein, oder nicht? Aber Elif kam an ihre Grenzen und gesteht sich heute ein: „Ich hätte die angebotene Hilfe von meiner Mutter und Schwiegermutter annehmen sollen. Dieser Druck, perfekt sein zu müssen, kam von mir selbst –  ich hatte mich nicht als gute Mutter gefühlt.“

Tipp an werdende Mütter

Ihr Tipp an werdende Mütter: „Die Zeit in der Schwangerschaft zu zweit genießen, wenn möglich noch in Urlaub fahren und ausreichend schlafen. Und wenn das Kind dann auf der Welt ist, unbedingt Hilfe annehmen. Sich nicht unter Druck setzen lassen. Es muss nicht immer alles perfekt sein“.

Das Neugeborene im Arm – „Annem“ – welch´ unvergesslicher Moment

Elifs erster Gedanke nach der Geburt? Unendliches Glück: „Annem!“ Das türkische Wort bedeutet so viel wie „meine Mutter/mein Kind“ und wird auch gerne mit dem unendlichen Glücksgefühl einer Mutterschaft in Verbindung gebracht, „mein Sohn, mein Alles“. Elif fühlte sich mit dem Baby auf ihrer Brust vollkommen. Wenn Elternschaft ein Songtitel wäre, dann „Herausforderung und Glück“.

Ich hätte die angebotene Hilfe von meiner Mutter und Schwiegermutter annehmen sollen. Dieser Druck, perfekt sein zu müssen, kam von mir selbst –  ich hatte mich nicht als gute Mutter gefühlt.

– Elif –

Österreichisch im Kindergarten, Türkisch zu Hause

Seit Seyit eineinhalb Jahre alt ist, besucht er einen österreichischen Kindergarten. Sein bester Freund ist ein österreichisches Kindergartenkind, was Elif für sehr gut empfindet. Da alle Freunde der Eltern noch kinderlos sind, war es ihnen wichtig, dass ihr Sohn möglichst früh viel Zeit unter deutschsprachigen Kindern verbringt. Die deutsche Sprache sollte für ihn keine Barriere darstellen. Den Eltern ist die kulturelle Balance von Bedeutung – Seyit soll sowohl türkisch als auch deutsch sprechen können und sich in beiden Kulturen „zu Hause“ fühlen.

Konfrontation mit der deutschen Sprache

Zu Hause unterhält man sich in Türkisch und im Kindergarten wird Seyit mit der deutschen Sprache konfrontiert. Es ist nicht immer leicht für den Kleinen, sein deutscher Wortschatz ist geringer als der seiner Kindergartenfreunde. Elif führte deshalb ein Entwicklungsgespräch mit einer Kindergartenpädagogin. Sie wollte wissen, ob sich ihr Sohn gut ausdrücken kann. Sie ist sich bewusst, dass Seyit ein Kind mit Migrationshintergrund ist und war daher umso erleichtert zu hören, dass er sich sprachlich ganz normal entwickelt.

zwei Kulturen und Familie
Gemeinsame Rituale mit Kind – Zweisamkeit als Paar

Seyits Vater arbeitet den ganzen Tag, somit hat Elif die Kinderbetreuung nach dem Kindergarten inne. Die Familie achtet in ihrem Alltag sehr auf Struktur und Rituale. Mit dem Abendessen wird auf den Papa gewartet. Danach duscht dieser Seyit und bringt ihn zu Bett. Vor dem Einschlafen gibt es noch eine Gute Nacht Geschichte oder ein Hörspiel, spätestens um 20:00 Uhr schläft der Kleine. Somit verbleibt dem Ehepaar noch Zeit für einen gemeinsamen Abend. Der Rhythmus hat sich gut bewährt. Einmal in der Woche nehmen sich Elif und ihr Mann Zeit für einen „kinderfreien“ Abend und Vormittag. Dann passen die Großeltern auf Seyit auf und Elif und Sabri genießen ihre Zeit als Ehepaar.

Kulturelle Vielfalt als Bereicherung

Seyits Eltern ist ein Leben im Einklang beider Kulturen wichtig. Im österreichischen Kindergarten wird Seyit mit der hiesigen Sprache, Bräuchen und Sitten vertraut. Zu Hause wird am Ramadan und anderen türkischen Festivitäten festgehalten. In Zeiten der Pandemie ist natürlich vieles nicht durchführbar, daher freut sich die junge Familie umso mehr, wenn sie bald wieder an türkischen und österreichischen Feierlichkeiten teilnehmen kann. Elif, Sabri und ihr Seyit – eine Familie, die ihr Leben zwischen den Kulturen genießt!

Interview mit Elif im April 2021