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Pflegefamilien

Viele Kinder können aus den unterschiedlichsten Gründen nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen. Mehr als 12.500 Kinder und Jugendliche in Österreich leben derzeit nicht bei ihren leiblichen Eltern. Viele dieser Kinder sind in Wohngemeinschaften, Kinderdörfern, Heimen oder Krisenzentren der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht, nur rund 5.000 von ihnen wachsen in Pflegefamilien auf.
Bernd und Clara haben 2015 die vierjährige Sahar bei sich aufgenommen, wir haben sie zum Interview getroffen.
Was hat euch dazu bewegt, eine Pflegefamilie zu werden?

Obwohl wir zu dem Zeitpunkt schon zwei eigene Kinder hatten, wollten wir einem Kind, dem es nicht so gut geht, ein schönes Leben ermöglichen. Wir hatten beide noch einen Kinderwunsch und haben angefangen, uns über die Aufnahme eines Pflegekindes informiert. Und dann kam Sahar.

Musstet ihr euch besonders vorbereiten? 

Uns war klar, dass wir uns besonderen Herausforderungen stellen müssen, wenn wir ein 4-jähriges Mädchen aus einer anderen Kultur, die auch schon einiges durchmachen musste, in Pflege nehmen. Wir haben Module und Seminare besucht, um uns zu informieren, z.B. zur Rechtsstellung von Pflegeeltern, zum Umgang mit kindlichen Traumata und Bindungen sowie zum wertschätzenden Umgang mit der Herkunftsfamilie. Weiters haben wir uns auch, nachdem Sahar schon bei uns in Pflege war, mit einer Gruppe getroffen, in der sich Pflegeeltern in einer ähnlichen Situation austauschen konnten. Auch Supervisionen haben uns sehr geholfen.

Wie gestaltete sich der Einstieg? Hat sich Esra schnell an die neue Situation gewöhnt? 

Zu Beginn war sie sehr ruhig und in sich gekehrt. Hier kam natürlich noch die sprachliche Barriere dazu, Esra kam 2015 aus dem Iran zu uns, sie war gerademal 4 Jahre alt. Also schon alt genug, um zu begreifen, was gerade passiert aber noch nicht alt genug, um es auch wirklich zu verstehen, warum sie nicht mehr bei ihrer Mama wohnen darf. Wir waren sehr behutsam mit ihr, haben ihr ihren Freiraum gelassen und auch versucht, mithilfe einer iranischen Freundin uns ihr sprachlich anzunähern. Auch unsere leiblichen Kinder sind gut mit der Situation umgegangen, haben versucht, Sahar in den Alltag zu integrieren. Erst, als wir Sahar halbtags in den Kindergarten gegeben haben, ist sie langsam aufgeblüht. Der Kontakt zu anderen Kindern ihres Alters hat ihr gutgetan, sie hat schnell Anschluss gefunden und auch sehr schnell Deutsch gelernt. Aber es hat gedauert, man muss als Pflegefamilie auf jeden Fall Geduld haben.

Gab es ein besonders schönes Erlebnis mit Esra, welches euch in Erinnerung geblieben ist? 

Ja, da kommen mir gleich wieder die Tränen. Eines Tages hat mein Mann Sahar vom Kindergarten abgeholt und zuhause hat sie uns gezeigt, was sie im Kindergarten gemalt hat. Es war ein Bild von uns als Familie, Sahar, unsere Jungs, mein Mann und ich. Über meinem Kopf stand Mama, über seinem Kopf Papa. Das war so ein unglaublich schöner Moment.

Jetzt ist Sahar 11 Jahre alt. Stellt sie Fragen zu ihrer Herkunft? 

Ja, das tut sie. Und wir haben auch guten Kontakt zu ihrem Onkel und ihrer Tante im Iran, wir skypen oft und Sahar bekommt Geschenke zu ihrem Geburtstag. Sie versteht auch, dass sich ihre Mama einfach nicht um sie kümmern konnte, dass sie dadurch kein schlechter Mensch ist, sie aber einfach nicht dazu in der Lage war. In der Langzeitpflege hat die leibliche Mutter zwar ein Besuchsrecht, wir haben von Sahars Mutter aber noch nie etwas gehört. Sie sagt oft, einmal will sie ihre leibliche Mutter kennenlernen. Und wir wissen nicht, ob wir ihr das ermöglichen können oder sollen. Dieser Aspekt wird uns sicher noch länger begleiten.

Welche Frage wird euch als Pflegeeltern am häufigsten gestellt? 

Wie wir damit umgehen, dass uns unser Kind jederzeit weggenommen werden kann. In Österreich ist es so, dass zu Beginn sehr wohl abgesteckt wird, ob dieses Kind nur für kurze Zeit eine Pflegefamilie braucht (z.B. bei Erkrankung der Mutter) oder ob es dauerhaft zu einer Pflegefamilie kommt, weil sich die Mutter nicht mehr ausreichend kümmern kann. Uns war klar, dass wir dem Kind langfristig ein Zuhause geben wollen.

Aber ja, es kann natürlich auch sein, dass die Mutter ihr Leben wieder in den Griff bekommt. Dann hat sie natürlich das Recht, ihr Kind wieder bei sich aufzunehmen. Jedoch findet hier ein Prozess statt, das heißt, das Kind wird uns nicht von einen auf den anderen Tag weggenommen. So hart es auch sein mag, falls Sahars leibliche Familie es schafft, ihr ein tolles Leben zu bieten und sich ausreichend um sie zu kümmern, waren wir die Stütze in ihrem Leben für eine Zeit, in der sie uns gebraucht hat. Und unser Band kann man nicht mehr trennen, sie wir für immer unsere Tochter im Herzen sein.

Weitere Infos zum Thema Aufnahme eines Pflegekindes in Österreich findet ihr auf oesterreich.gv.at 

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