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Wann Eltern werden? Wenn Du dein Leben „gebacken“ bekommst und dich selbst im Griff hast!

Ali Mahlodji, 39jähriger Wiener mit persischen Wurzeln, lebt mit seiner Frau Anna und der gemeinsamen Tochter (2 1/2 J.) in der österreichischen Hauptstadt. Ali wurde in Teheran geboren und kam mit zwei Jahren als Flüchtlingskind nach Österreich. Ein Leben in Armut und Flucht prägten sein Leben und wie er selbst sagt: „Durch diese Kindheitserfahrungen kann ich all´ die Kinder und Erwachsenen mit ihren Traumata erst richtig verstehen“.

Familienleben – verabschiede dich von utopischen Wunschvorstellungen! Du wirst irgendwo draufzahlen! Dein Gewinn? Unfassbar schöne Momente!

– Ali –

Prio 1: Zeit mit unserer Tochter

Ali und seine Frau entschieden sich bewusst für ein Kind und möchten auch möglichst viel Zeit mit ihrer Tochter verbringen. Da beide Elternteile selbstständige Unternehmer sind, können sie mit ihrer Zeit recht gut jonglieren. Von Wunschvorstellungen über ausreichende Zeitressourcen für sich selbst, hat Ali sich jedoch rasch verabschiedet. Ihm ist bewusst, dass man irgendwo draufzahlt. „Wenn du was machst, sei dir bewusst, welchen Preis du bezahlst. Dann hast du später auch kein schlechtes Gewissen!“

Alis‘ Preis

Alis´ Preis ist es, dass er manchmal selber auf sich vergisst oder sein Business hintansteht. So kann es – gerade in Coronazeit – schon mal vorkommen, dass sein Tag um 3.30 Uhr beginnt, er bis 9:00 Uhr arbeitet und sich dann um die Tochter kümmert, damit seine Frau bis 18:00 arbeiten gehen kann. Nach dem Abendessen und Zubettbringen des Kindes, verbringt das Paar noch ein bis zwei Stunden gemeinsam. Schnell vier Stunden Schlaf tanken und auf geht’s für Ali in die nächste Runde. Und das Ganze manchmal an fünf Tagen die Woche!

Jammern und Raunzen bringt nichts

Es ist oft anstrengend und mühsam, aber Jammern ist für den Vater nicht angesagt, im Gegenteil. Ali meint: „Keiner zwingt dich, sei Dir bewusst welchen Preis du zahlst, dann ist das Leben nur halb so schwierig. Raunzen bringt nichts. Manchmal tut es aber gut, Druck abzulassen und der Trauer, Wut, Enttäuschung, Raum zu geben. Die Emotionen dürfen gelebt, aber nicht gegen andere gerichtet werden.“ Sein Preiseinsatz zahlt sich jedoch tausendfach aus. Ali erinnert sich gerne an ein schönes Erlebnis: „Es war der Tag, an dem meine Tochter die ersten zwei Schritte tat. Ich dachte mir nur, wie geil, dass ich das jetzt miterleben durfte. Das war ein unfassbarer Augenblick. So cool!“

Rituale schaffen einem Kind Strukturen

Rituale sind der Familie sehr wichtig. Bevor das Kind abends einschläft, wird die Zeit noch gemeinsam verbracht. Das geht über das gemeinsame Vorhang zuziehen, der imaginären Freundin zuwinken, Schnuller und Kuscheltier geben. Dem Kind eine Umgebung schaffen, auf die es sich verlassen kann und die nicht irritierend ist. Ali verbrachte eine Kindheit jenseits von Strukturen. Der Vater war psychisch schwer krank, die Mutter musste ihre beiden Söhne alleine großziehen und gefühlte 1.000 Sachen gleichzeitig schupfen.

Kindheit und Ungewissheit

Was es bedeutet, eine Kindheit in Armut und Ungewissheit zu verbringen, weiß Ali nur zu gut. Durch diese Erfahrung ist der Vater sich sicher, dass „es schon gut ist, wenn du Struktur hast, das hilft dir auch als Elternteil im Leben, damit du alles gemanagt bekommst. Nur so kann man sich auch ´mal fallen lassen“. Ratgeber für Erziehung hat er keinen einzigen gelesen. Er verlässt sich lieber auf sein Gefühl, Erfahrungen aus der Kindheit und den Austausch mit anderen Vätern.

Familienleben

Setz´ nur ein Kind in die Welt, wenn du dein eigenes Leben gebacken bekommst. Du musst dich selbst im Griff haben, damit du für andere ein Heim schaffen kannst.

– Ali –

Der optimale Zeitpunkt um Vater zu werden

Damit wäre für Ali die Frage, ob es einen optimalen Zeitpunkt (unabhängig vom Lebensalter) für das Eingehen einer Elternschaft gäbe, geklärt. Er hat über 60ig Jährige gesehen, die bewusst Väter geworden sind und meinten, darauf hätte sie keiner vorbereitet und 18 Jahre junge Väter, die selbst noch Kinder waren. Ali selbst ist im Alter von 37 Jahren Vater geworden. Er wollte und spürte die Bereitschaft dafür. „Man sollte sich im Leben die Phasen zugestehen, in denen man sich gerade befindet. Das bedeutet z.B., nicht mit 16 Jahren versuchen, erwachsen zu sein.“

Es sind nicht die Kinder, die repariert werden müssen

Eine Herzensangelegenheit von Ali ist seine Arbeit an Brennpunktschulen. Dort beschäftigt er sich jährlich mit hunderten Kindern und Jugendlichen. Seine persönliche Erfahrung? „Die Kinder müssen nicht zu Schulpsychologen, Nachhilfe etc., sie müssen nicht „repariert“ werden“. Ali setzt bei seiner Tätigkeit als erstes bei den Eltern an: Er hat z.B. viele Paare erlebt, die nur des Kindes wegen ihrer Partnerschaft aufrechterhielten oder sich bewusst für ein Kind entschieden haben, um eben diese zu retten.

Verlierer der Beziehungsrettung

Aber: „Ein Kind ist kein Punchingball, um eine Beziehung zu kitten.“ Und in den meisten Fällen funktioniert diese Art von Beziehungsrettung auch nicht. Die Verlierer sind in seinen Augen immer die Kinder. „Diese glauben später, sie hätten es nicht besser hinbekommen und geben sich für alles die Schuld.“ Daher spricht er zuerst mit den Eltern, um sich einen Überblick über die Familiensituation zu verschaffen.

Vater Tochter Zeit
Kinder sind die Leidtragenden

In 100 % der Fälle können die Kinder nichts für ihr Verhalten. Es geht dabei vielmehr um die Eltern, wie diese ihr Leben gestalten, deren Umfeld, Wortwahl etc.. Kinder wachsen in diesem Milieu auf, sie sind die Leidtragenden. Ali polarisiert absichtlich, er spricht die Eltern direkt auf die Situation an und zwar auf „Augenhöhe“. Mit diesem Wesenszug, verknüpft mit seinen Kindheitserfahrungen, gelingt es Ali, den Eltern einen Spiegel ihrer Selbst vorzuhalten. Ali lässt sie erkennen, dass sie maßgeblich für das jetzige Verhalten ihrer Kinder beigetragen haben. Das Ergebnis: Früher oder später gelangen die Eltern zur Einsicht und sind schlussendlich dankbar.

Time und organisiere – sonst schlägt Dir das Leben mit der Faust ins Gesicht!

– Ali –

Alles lässt sich organisieren

Ali ist sich sicher, dass sich alles organisieren lässt, im Notfall müsse man seine Erwartungshaltungen, Arbeit etc. an die jeweilige Lebenssituation adaptieren. Für das Paar war die Einteilung ihrer Arbeitszeiten und die Kinderbetreuung anfangs auch eine Challenge, die selbst ihn – den versierten Selbstständigen – an seine Grenzen brachte.

Zeitressourcen als Mangelware

Persönliche Zeitressourcen waren (und sind nach wie vor) Mangelware, nächtliche Arbeitsstunden oft an der „Tagesordnung“, aber: „Ich gab meiner Frau das Versprechen, dass sie, wenn das Kind da ist, niemals das Gefühl haben soll, dass sie draufzahlt. Er werde auch versuchen, dass sie Dinge tun könne, die sie tun will, ohne, dass das Kind draufzahlen würde“. Ali möchte nicht, dass seine Tochter später das Gefühl hat, eine Belastung gewesen zu sein, und dass ohne sie vielleicht alles einfacher gewesen wäre. „Alles, zu was man sich im Leben entscheidet, ist eine Herausforderung! Sei Dir bewusst, welchen Preis du dafür bezahlst, um später nicht mit Enttäuschungen rumzulaufen!“

Wenn Elternschaft ein Song wäre: Don´t worry – be happy

Warum worry? „Weil worry im Leben sowieso dabei ist! Die Menschen wollen immer alle nur den Regenbogen aber nicht den Regen“. Be happy – Ali rät allen Eltern, die Zeit mit ihren Kindern zu genießen: „Ich sitze mit meiner Tochter erste Reihe fußfrei, genieß‘ die Welt. Es ist nicht immer alles perfekt, egal. Enjoy the show!“

Ali Mahlodji durchlief in seinen jungen Jahren viele verschieden Jobs: Reinigungsdienste, Manager, Lehrer, Gründer von WHATCHADO, Autor. Er hält über 150 Vorträge im Jahr und arbeitet mit Kindern an Brennpunktschulen. Für seine Arbeit als Innovator der Gesellschaft wurde er international mehrfach ausgezeichnet. Mittlerweile fungiert er als Chief  Storyteller & Chief Visionary und ist Jugendbotschafter der EU.

Buchempfehlungen

Interview mit Ali, April 2021.

Anmerkung der Redaktion: Holzi hatte eine ähnliche Story zu diesem Thema, hier mehr dazu lesen.