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JA zum Leben – Krebs und Alleinerziehend

Michelle ist 31 Jahre alt, Mama eines 7-jährigen Sohnes und lebt seit 11 Jahren mit der Diagnose Krebs. „Sunny“, wie ihre Freunde sie nennen, erzählt offen und ehrlich über ihr Leben mit einer der seltensten Krebsarten, der Kraft des positiven Denkens und ihrem größten Geschenk im Leben, ihrem Sohn.

Krebs mit 20 Jahren

Für mich stand schon von Kind an im Fokus, Menschen zu helfen. Das gibt mir Lebensenergie, mir geht es gut, wenn ich andere Menschen glücklich machen kann. Diesen Lebensmut habe ich auch nicht verloren, als ich mit 20 Jahren die Diagnose bekommen habe: Krebs. Ein Weichteiltumor im linken Oberschenkel. Lebenserwartung: Maximal 1 Jahr. Zu der Zeit stand ich fest im Leben, bin gerade mit meinem Freund in eine neue Wohnung gezogen, hatte meinen Traumjob als Stylistin ergattert und tausend Pläne für die Zukunft geschmiedet. Und dann der Schlag ins Gesicht. Bei meiner Krebserkrankung handelt es sich um eine sehr seltene Art, damals gab es nur spärliche Erstunterlagen auf Englisch, die ich mir mühsam aus dem Internet heraussuchen musste. Es gab nur einen Spezialisten in Wien, bei dem ich mich informieren konnte.

Weckruf

Am schlimmsten hat mich getroffen, dass mir der Arzt prophezeite, dass meine Lebenserwartung mit dieser Art von Krebs bei maximal einem Jahr lag. Ein Jahr. Ich dachte, ich kann doch unmöglich mein ganzes restliches Leben, meine Pläne und Träume, in ein einzelnes Jahr packen? Ich durchlebte viele Trauer- und Wutphasen, bevor ich erkennen konnte, dass die Diagnose auch ein Weckruf für mich war. Mein vorheriges Leben war gar nicht so erfüllt, wie ich immer gedacht hatte. Ich war in einem Hamsterrad gefangen, aus dem ich durch die Diagnose ausbrechen konnte. Der Job, den ich ausübte, war nicht fördernd für meine Lebensqualität. Ich war nicht dafür gemacht, 10 Stunden am Tag im Salon zu stehen, auch meine Beziehung hat mich erdrückt. Ich erkannte viele Muster, in denen ich gelebt hatte, die einfach nicht zu mir passten, aus denen ich ausbrechen musste.

Krebs Alleinerziehend
Die Krankheit positiv sehen

Woher mein Spitzname Sunny kommt? Nachdem ich die Diagnose verarbeitet hatte, wurde mir schnell klar, dass ich länger als die drei Jahre, die mir mit Einnahme des Medikaments in Aussicht gestellt wurden, leben würde. Das hat mir meine innere Stimme gesagt, ich habe es gespürt. Mich wird diese Krankheit nicht besiegen. Nach dem ersten harten Jahr startete ich eine Mentaltrainerinnen Ausbildung. Da wurde mir erst richtig bewusst, was ich alles ich durch meine eigene Stimmung lenken und beeinflussen kann. Ich kann jeden Tag für mich entscheiden, wie ich mit einer bestimmten Situation umgehe. Ich habe in den letzten Jahren viel über mich gelernt, mich mit mir selbst beschäftigt und herausgefunden, was mir guttut und was eben nicht.

Der enge Kreis

Die Diagnose hat auch meine Mama und meine zwei Schwestern hart getroffen. Meinen Papa habe ich nie kennengelernt, er lebt auch nicht mehr. Diese Zeit hat meine Mama und mich viel näher zusammengeschweißt. In meiner Kindheit fühlte ich mich immer vernachlässigt, ich konnte meine Mama nie ganz für mich allein haben. Aber nach der Diagnose hat sie sich viel Zeit für mich genommen. Das war ein gutes Gefühl, die Mama mal „ganz für sich allein“ zu haben. Auch meine Geschwister waren eine große Stütze für mich, vor allem meine 3,5 Jahr jüngere Schwester. Sie hat mich rausgeholt, hat gesagt, ich soll tun, worauf ich Lust habe und mein Leben nicht nur nach dem Krebs ausrichten. Ich soll leben. Meine Mama hat sich in Foren herumgetrieben und z.B. auch herausgefunden, wie man die Nebenwirkungen, die das Medikament, welches ich bekomme, um das Wachstum der Metastasen zu hemmen, mindert. Alle waren auf ihre Weise für mich da und dafür bin ich sehr dankbar.

Plötzlich schwanger

Vor meiner Diagnose hatte ich den Plan, mit Anfang 30 schwanger zu werden, zuerst wollte ich mich auf meine Karriere konzentrieren. Und bei einem Kind sollte es bleiben, damit ich ihr oder ihm die volle Aufmerksamkeit schenken kann. Das Thema „Mama werden“ hat sich mit meiner Diagnose aber eigentlich erledigt, mein Arzt sagte mir, es sei unmöglich, mit den ganzen Medikamenten und Therapien schwanger zu werden. Eigentlich. Mit 22 Jahren habe ich den Vater meines Sohnes kennengelernt. Ich habe von Anfang an offen kommuniziert, dass ich Krebs habe und auch keine Kinder bekommen kann, das war für ihn in Ordnung.

Zu Silvester, da kannten wir uns erst ein paar Monate, spürte ich das erste Mal, dass etwas nicht stimmt. Doch der Gedanke, dass ich schwanger sein könnte, kam mir erst zu meinem Geburtstag im Jänner. Ich machte einen Schwangerschaftstest, dann noch einen und noch einen und noch einen: Alle 4 positiv! Ich konnte es nicht glauben. Meine erste Reaktion war Panik, wir waren erst ein Monat offiziell zusammen, beruflich und wohnungstechnisch war ich auch nicht da, wo ich sein wollte, um ein Baby in die Welt zu setzen. Von meiner Krankheit ganz zu schweigen.

Ich lebe schon seit 11 Jahren mit Krebs, 3 Jahre wurden mit prognostiziert.

Michelle

Krebs Alleinerziehend
Bekomme ich das Kind? 

Ich habe es meiner Mama und meinem damaligen Freund erzählt, er hat toll reagiert und gesagt, er unterstützt mich, egal, welche Entscheidung ich treffen werde. Eine leise Stimme in meinem Kopf hat an meine Vernunft appelliert, aber eigentlich war ich zu dem Zeitpunkt schon so von Liebe für dieses Kind erfüllt, dass meine Entscheidung feststand. Gleich wurden Termine beim Onkologen und Gynäkologen ausgemacht. Der Onkologe war der klaren Meinung, dass ich dieses Kind nicht bekommen darf. Ich war damals in der 5. Woche. Er sagte, dass das Kind so oder so vor der 12. Woche abgehen wird, die Medikamente, die ich nehme, sind viel zu aggressiv und falls das Kind auf die Welt kommt, wird es behindert sein. Keine guten Voraussetzungen. Doch dann war ich beim Gynäkologen und habe das erste Mal den Herzschlag meines Babys gehört. Und da wusste ich, mein Kind wird gesund auf die Welt kommen. Über alle ärztlichen Ratschläge hinweg entschied ich mich, Mama zu werden. Ich habe mich zu dem Zeitpunkt auch körperlich stark gefühlt, voller Liebe für dieses Kind. Meine Energetikerin hat mir geholfen, sie hat bewusst mit mir gearbeitet.

Mein Arzt sagte, es wäre eigentlich unmöglich, mit meiner Krankheit schwanger zu werden. Eigentlich.

Michelle

Ein gesundes Kind

Ich hatte mich entschieden, während der Schwangerschaft keine Untersuchungen oder Therapien zu machen. Mein Sohn kam als gesundes Kind auf die Welt. Leider musste ich mich gegen das Stillen entscheiden, das war mit meiner Krankheit einfach nicht möglich. Ich hatte Angst, dass sich so keine Mutter-Kind-Verbindung aufbaut, aber dem war nicht der Fall. 2-3 Tage nach der Geburt wurde gleich ein CT gemacht, um abzuchecken, wie es mir geht und damit ich im Fall der Fälle wieder eine Therapie beginnen kann. Es kam heraus, dass der Krebs über die Schwangerschaft hinweg gewachsen war. Meine größte Angst in dem Moment war, dass mein Kind ohne mich aufwachsen muss. Ich fing wieder mit der Therapie an, höher dosiert. Die ersten Monate waren mehr als herausfordernd. Mir ging es schlecht wegen der Therapie, der Kleine war ein Schreibaby und wollte 24 Stunden am Tag bei mir sein. Mein Freund war mit der Situation überfordert und keine Unterstützung für mich. Unsere Beziehung ging in die Brüche und ich musste schauen, wie ich allein klarkomme. Mein Sohn hat aber nach wie vor eine gute Beziehung zu seinem Papa, das wollte ich ihm auf keinen Fall nehmen. Da ich selbst ohne Papa aufgewachsen bin, war es mir immer wichtig, unsere Auseinandersetzungen nur unter uns zu klären und das Kind damit nicht zu belasten.

Offene Kommunikation

Kommunikation ist das A und O, das vermittle ich auch meinem Sohn. Ich musste ihm nicht viel erklären, er hat alles hautnah mitbekommen. Er hat mich an Schläuche angeschlossen gesehen, in meinen schlimmsten Phasen, auch während der Therapie war er oft dabei. Vor zwei Jahren haben die Ärzte einen Hirntumor bei mir entdeckt, ein Jahr davor fiel meine Mama, seine Oma, aufgrund einer Hirnoperation ins Wachkoma. Das hat ihn getriggert. Wieder eine seiner Bezugspersonen, die etwas am Kopf machen muss.  Da kam dann auch die Frage:

„Mama, du sagst immer, du hast Krebs. Aber was ist das genau?“

Ich habe mir Bücher zu Hilfe geholt, die kindergerecht erklären, was Krebs eigentlich ist. Damit hat er nicht so viel anfangen können. Aber mit eigenen Worten hat er es besser verstanden. Ich habe ihm erklärt, Mama kann jederzeit an ihrer Krankheit sterben, Papa kann aber auch an einem Autounfall sterben. Klar, bei Mama ist es naheliegender, aber es ist kein Muss. Ich will meinem Sohn nicht vorleben, in Angst zu leben. Ich will ihm das Gefühl geben, dass alles gut ist, wir leben unser Leben und sind positiv. Der Kleine ist auch sehr einfühlsam, wenn es mir nicht so gut geht. An solchen Tagen darf er mehr fernsehen, und wenn es mir dann wieder besser geht, dann kann wieder gemeinsam Fußball gespielt werden. Wir haben so eine starke Verbindung, er ist unglaublich empathisch. Durch die Schicksalsschläge, die er in jungen Jahren schon durchmachen musste, hat er eine starke Persönlichkeit entwickelt.

Und dann fragte mich mein Sohn: Mama, du sagst immer, du hast Krebs. Aber was ist das genau?

– Michelle –

Die Zukunft

Man weiß nie, was die Zukunft bringt, ob Krankheit oder nicht. Mein Lebensmotto ist es, jeden Tag positiv zu bestreiten und glücklich zu sein. Ich will meine Geschichte aus meiner Perspektive erzählen, mein Leben aus meiner Sicht. Ich habe so viel erlebt, ich will anderen Menschen helfen und hoffe, dass sie durch meine Geschichte gestärkt werden. Krebs ist kein Tabuthema mehr. Ich lebe jetzt schon seit 11 Jahren mit dieser Krankheit, 3 Jahre wurden mir prognostiziert. Positive Vibes, Eigenverantwortung übernehmen und auf die eigene Stimme zu hören haben mir geholfen, die Krankheit anzunehmen. Man muss eigene Erfahrungen machen und mit den eigenen Konsequenzen leben. Als Mama kommt immer das Kind zuerst, aber dann sollte man selbst kommen.