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Fehlgeburten: KEIN Tabuthema

Daniela ist 41 Jahre alt, Lehrerin und seit 10 Jahren mit ihrem Partner zusammen, mit dem sie einen gemeinsamen Sohn hat.  Niemand wusste, ob Tobias als er vor 5 ½  Jahren nach vielen Wochen des Bangens und des Hoffens als Frühchen und mit einer unterentwickelten Lunge auf die Welt gekommen ist, ein gesundes Kind sein wird.

Schnell war klar, wir wollen Eltern werden

Ein Jahr, nachdem sich Daniela und ihr Partner kennengelernt haben, wussten sie, dass sie eine Familie gründen wollen.  Daniela war sofort schwanger. Und zwar mit Zwillingen! Die Freude war riesengroß. Die ersten paar Schwangerschaftswochen verliefen ruhig, Daniela hatte immer wieder Krämpfe, jedoch wurde ihr gesagt, dass das bei der ersten Schwangerschaft ganz normal sei.

Fehlgeburt und Eileiterschwangerschaft

Doch in der 9. Woche hatte Daniela eine Blutung, im Krankenhaus wurde ihr mitgeteilt, dass der eine Embryo leider gestorben sei und der Zweite sich nicht richtig entwickelte. Beide Embryos waren nicht lebensfähig, es musste eine Kürettage, eine Ausschabung der Gebärmutter, vorgenommen werden.

Dieser ganze Prozess war für das junge Paar natürlich prägend. Daniela stellte sich oft die Frage, warum es genau sie getroffen hat, warum sie eine Fehlgeburt erlitten hat. Sie raucht nicht, lebt und ernährt sich gesund. Doch sie wollte auch nicht zu viel Energie auf diese Gedanken verschwenden, beim nächsten Mal würde es bestimmt klappen. Und es half ihr, sich anderen Menschen mitzuteilen, über ihre Fehlgeburt zu sprechen. Sie merkte schnell, wie viele Frauen von Fehlgeburten betroffen sind und sie nicht allein mit ihrem Schicksal ist.

Daniela und ihr Partner gaben die Hoffnung nicht auf, sie wurde ein Jahr später noch einmal schwanger. Doch auch diese Schwangerschaft endete schon frühzeitig, sie verlor das Baby in der 6. Schwangerschaftswoche. Drei Monate später wurde Daniela noch einmal schwanger, diesmal war es aber leider eine Eileiterschwangerschaft. Ein Schicksalsschlag folgte dem nächsten.

Fehlgeburt
Wie machen wir weiter?

Beide wussten, dass sie nicht aufhören wollten, zu versuchen, ein gemeinsames Kind zu zeugen. Medizinisch war bei beiden alles in Ordnung, deshalb sprach auch nichts dagegen. Doch Daniela fing an, sich selbst großen Druck zu machen. Die vielen Fehlgeburten machten ihr zu schaffen, sie hatte immer die Angst im Hinterkopf, noch einmal ein Kind verlieren zu müssen. Daniela wurde fast ein Jahr lange nicht mehr schwanger, wahrscheinlich ließ es der psychische Druck nicht zu.

Danielas Arzt hat das Thema Künstliche Befruchtung als weitere Möglichkeit auf den Tisch gebracht. Eine Alternative, über die sich das Paar während eines entspannten Sommerurlaubs Gedanken machen sollte. Sozusagen ein Plan B, wenn die natürliche Schwangerschaft über den Sommer nicht klappen sollte.

Im Herbst wurde mit der künstlichen Befruchtung begonnen. Beide hatten sich die Grenze von 3 Versuchen gesetzt, wenn diese drei Versuche nicht funktionieren sollten, würden sie akzeptieren, keine Eltern zu werden. Der erste Versuch klappte nicht, beim zweiten Versuch wurden Daniela zwei Eizellen eingesetzt und die Ärztin gratulierte ihr schon mit einem Augenzwinkern zu Zwillingen.

Doch auch der zweite Schwangerschaftstest war negativ und eine Blutung hatte eingesetzt. Auch beim Ultraschall war nichts von einer Schwangerschaft zu erkennen. Es blieb noch ein Versuch offen, sie hatten noch eine Chance. Dachten sie zu dem Zeitpunkt jedenfalls.

Ich bin schwanger

Ein paar Wochen nach der 2. künstlichen Befruchtung fühlte sich Daniela nicht gut, spürte die ganze Zeit ein Ziehen im Bauch. Im Krankenhaus wurde ihr Blut abgenommen und festgestellt, dass ihre Schwangerschaftshormone sehr hoch ausfielen. Sie saß bei ihrem Gynäkologen und rechnete mit dem schlimmsten, vielleicht wieder eine Eileiterschwangerschaft. Doch da schlug er auf einmal die Hände über den Kopf zusammen und sagte die befreienden Worte: Das gibt es doch nicht! Da ist ein Embryo. Sie sind schwanger! Der zweite Versuch war doch erfolgreich gewesen, sie war bereits in der 10. Woche.

Das Gefühl, dass etwas Schlimmes passiert war, ließ mich nicht mehr los. Im Krankenhaus bekamen wir dann die Nachricht: Das Kind liegt im Trockenen, es ist kein Fruchtwasser mehr da, die Schwangerschaft muss abgebrochen werden.

Schon wieder.

Daniela

Eine Schwangerschaft mit Komplikationen

1-2 Wochen später hatte sie eine Sturzblutung, diese kam völlig aus dem Nichts. Sofort dachte Daniela wieder an eine Fehlgeburt, alle Hoffnungen waren wie weggeblasen. Im Krankenhaus wurde sie untersucht und überraschenderweise wurde festgestellt, dass mit dem Embryo alles in Ordnung war. Daniela wurde entlassen, ein paar Wochen lang war alles wieder gut. Sie war im Urlaub in Kärnten, als sie auf einmal das Gefühl hatte, Fruchtwasser zu verlieren. Das war in der 19. Schwangerschaftswoche. Die Kärtner Ärzte sagten ihr, dass alles in Ordnung sei und sie sich keine Gedanken machen musste.Das schlechte Gefühl ließ Daniela aber nicht los, zurück in Wien ging sie noch einmal ins Krankenhaus. Dort die erschreckende Nachricht: Das Kind liegt im Trockenen, es ist kein Fruchtwasser mehr da. Der behandelnde Arzt im AKH meinte, die Schwangerschaft muss abgebrochen werden.

Ein 10-wöchiger Krankenhausaufenthalt

Daniela stand auf einmal vor der Entscheidung, ob sie es weiter versuchen sollte, ihr Kind am Leben zu erhalten oder ob sie die Schwangerschaft abbrechen sollte.

Danis Gynäkologe war ihr in dieser Zeit eine große Stütze. Er sagte, es gebe Hoffnung, sie sollte nur ja keine Meinungen aus dem Internet holen und sich verunsichern lassen. Auch mit wenig Fruchtwasser kann das Kind eine Zeitlang überleben, solange es nicht zu einer Infektion kommt. Er hat das Thema Abbruch nie erwähnt.  Ihr Partner und ihre ganze Familie standen hinter ihr und waren tagtäglich an ihrer Seite. Und so startete Danielas 10-wöchiger Krankenhausaufenthalt voller Höhen und Tiefen.

Jeden Tag schwirrten Fragen wie: „Wird mein Kind überleben? Schaffen wir es bis zur 23./24. Woche? Wenn mein Kind überlebt, wie wird es überleben? Wird es lebensfähig sein?“, in ihrem Kopf herum. Sie begann, ihre Gedanken und Gefühle aufzuschreiben in Form von Briefen an ihren ungeborenen Sohn. Das half ihr, diese schwere Zeit besser zu verkraften und zuversichtlich zu bleiben.

Der große Tag stand fest

Nach langem Bangen hatten sie es geschafft, das Kind konnte auf die Welt geholt werden. Es wurde ein Termin für den Kaiserschnitt festgesetzt, langsam wurde es ernst. Sie hatten einen Plan. Bis am Schluss war ungewiss, ob Daniela ein gesundes Kind auf die Welt bringen würde. Alle Untersuchungen sind gut und unauffällig verlaufen, aber durch das wenige Fruchtwasser konnte sich die Lunge nicht richtig entwickeln, war kleiner als bei normalen Babys.

Drei Tage vor Tag X kam eine entnervte Kinderkrankenschwester in Danielas Zimmer, um mit ihr etwaige Fragen zur Geburt und der Zeit danach durchzugehen. Diese stellte sich vor ihr Bett und sagte ihr ganz trocken, dass sie nicht verstehe, warum diese Schwangerschaft vor 9 Wochen nicht abgebrochen wurde. Sie sagte, Daniela sollte sich darauf einstellen, dass ihr Kind schwerstbehindert oder tot auf die Welt kommen wird.

Ein Schlag ins Gesicht. Ihr Arzt beruhigte sie schnell wieder und war sehr zuversichtlich, dass alles optimal verlaufen wird.

Dann war endlich der 20. Oktober, Arzt, Freund, Psychologin, alle waren da. Und schließlich hörte man den ersten, zaghaften Schrei. Er atmet!! Dieser Moment war eine unglaubliche Erleichterung, auch wenn er gleich weggebracht wurde und versorgt und untersucht werden musste. Aber nach kurzer Zeit konnte sie ihren Sohn auf die Brust legen, wenn auch mit Schläuchen und Kabeln versehen.  Tobias brauchte nur etwas Sauerstoff, sonst war er kerngesund. Eine Woche lang lag er zur Beobachtung auf der Hochintensivstation, dann noch weitere zwei Monate im Krankenhaus, um seine Lunge mit Sauerstoff zu unterstützen. Aber generell war er ein gesundes Baby, ein Wunder.

Ein Gespräch mit dem Chefarzt der Neonatologie wird Daniela immer in Erinnerung bleiben. Der Arzt meinte, es seien alle überrascht über den starken Lebenswillen und die tolle Entwicklung von Tobias. Sie möge ihm jetzt unbedingt versprechen, dass sie keine Helikopter-Mama  wird. Das hätte Tobias nämlich nicht verdient.

Fehlgeburt
Was hilft unserer Psyche?

Reden, reden, reden – Das war Danielas Therapie. Sie musste ihre Geschichte erzählen, ob anderen Müttern oder Freunden, das hat ihr geholfen.

Weiters ist sie mit Tobias oft zur Cranio Sacral Therapie gegangen und hat selbst auch vor einiger Zeit den Schritt gewagt, die Ausbildung zur Cranio Sacral Therapeutin zu machen. Auch bei der Osteopathin waren Mama und Sohn häufig. Da Tobias so wenig Fruchtwasser hatte, ist er im Bauch immer in der gleichen Position gelegen, es musste an seinem Bewegungsapparat gearbeitet werden Daniela arbeitet auch schon seit Jahren mit ihrer Energetikerin, die ihr auch viel Kraft und Unterstützung in den letzten Jahren gegeben hat.

Natürlich haben die schweren Zeiten der Fehlgeburten Spuren hinterlassen, auch an der Beziehung zu ihrem Partner muss immer wieder gearbeitet werden. Aber das müssen andere Paare, die Kinder bekommen haben, und es vielleicht etwas einfacher hatten, auch. Jeder hat Krisen und Herausforderungen, denen er sich stellen muss, wichtig ist, dass man durch schwere Zeiten gemeinsam geht und sich unterstützt.

Der Wunsch nach einem Kind braucht Grenzen. Es braucht einen Plan und auch einen Zeitpunkt, an dem man sich eingestehen muss, dass es nicht funktionieren wird. Sonst steht man sein Leben lang unter Druck und macht sich damit selbst kaputt.

Daniela

Der Wunsch nach einem Kind braucht Grenzen

Uns hat es sehr geholfen, einen Plan zu haben, wenn es um das Thema Kinderwunsch geht. Einen Plan B, wenn Plan A nicht funktioniert.  Aber sich selbst auch Grenzen setzen und zu sagen, dass, wenn Plan B auch nicht funktioniert, es vielleicht einfach nicht sein soll. Sonst lebt man sein ganzes Leben lang mit diesem Druck, das ist nicht gesund.

Es gibt immer eine Grenze, Daniela und ihrem Partner war klar, sie wollen keine 20 IVF-Versuche über sich ergehen lassen und ihr Leben hat auch einen Sinn, wenn sie keine Kinder bekommen.