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Cornelia Lindner ist Sexualpädagogin, Sexualberaterin, Supervisorin und Beckenbodentrainerin in Wien, Niederösterreich und online. Unter dem Namen gefühls*echt bietet sie verschiedene Angebote rund um die Themen Sexualität und Körperwahrnehmun. Im November 2021 erschien ihr Aufklärungsbuch „Erbsenklein Melonengroß“ für Kinder ab 4 Jahren und im März 2023 erscheint ihr neues Buch „Wuschelkopf und Pupspopoim Achse Verlag.

Kinder aufzuklären ist wichtig, weil…

Es ist einfach nicht möglich, Menschen nicht sexuell zu bilden. Auch, wenn man sich zu dem Thema in Schweigen hüllt, ist das eine Art der sexuellen Bildung. Umso wichtiger ist es, sich auch als Elternteil mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich darüber Gedanken zu machen, welche sexuelle Bildung man dem eigenen Kind bzw. den eigenen Kindern mitgeben möchte.

Ab welchem Alter sollten Kinder aufgeklärt werden?

Alle Menschen werden als sexuelle Wesen geboren, heißt, sexuelle Bildung beginnt ab der Geburt. Trotzdem haben viele Eltern Angst davor, sie könnten ihre Kinder mit Informationen über den Körper und die Sexualität überfordern. Die kindliche sexuelle Entwicklung ist ein Teil der sonstigen Entwicklung (Motorik, Sprache, usw.) und nicht eigenständig.

Ab wann soll ein Aufklärungsgespräch stattfinden?

Sexuelle Bildung sollte nicht erst ab einem gewissen Alter passieren. Da, wie oben schon erklärt, Menschen als sexuelle Wesen geboren werden, sollte die sexuelle Bildung schon von Geburt an passieren. Ein klassisches Aufklärungsgespräch mit 12 Jahren – wie es oft in Büchern oder Filmen suggeriert wird – ist nicht notwendig.

Schon einmal von den drei „Lustpäckchen“ gehört?

Lust bedeutet, dass sich Dinge in unserem Körper gut anfühlen und schöne Gefühle auslösen. Für Kinder sind orale Tätigkeiten wie das Saugen am Schnuller, der Brust oder dem Fläschchen mit Lust verbunden und somit beruhigend. Das zweite Lustpäckchen ist die genitale Lust, wenn man zum Beispiel das erigierte Genital als faszinierend erlebt und allen zeigen will. Das dritte Päckchen ist die anale Lust, wenn zum Beispiel die eigene Ausscheidung als spannend und angenehm erlebt wird.

Diese Lustpäckchen zu erweitern, also weitere Dinge zu finden, die als lustvoll erlebt werden, ist Ziel der sexuellen Bildung von Geburt an. Den eigenen Körper kennenzulernen, ihn als etwas Positives und Lustvolle zu erleben, ihn durch Berührungen und Nacktsein zu erforschen und kennenzulernen. Das alles fördert die Weiterentwicklung sexueller Basiskompetenzen. Dazu zählen die Bewegungsfähigkeit des Oberkörpers und des Beckens, die An- und Entspannung des Körpers und die genitale Erektionsfähigkeit.

Soziale Regeln?

Kinder leben im Hier und Jetzt. Wenn sie Lust haben, etwas zu machen, dann wollen sie es SOFORT machen, und das in fast allen Lebensbereichen: Ein Kind hat JETZT Hunger, ein Kind muss JETZT aufs Klo – So ist es auch bei der Sexualität.

Wenn ein Kind die Lust verspürt, sich nackt auszuziehen, dann JETZT. Dagegen spricht grundsätzlich nicht, aber es gibt natürlich Momente, in denen diese Handlung unpassend ist und wir Eltern das Kind vor den Blicken von Erwachsenen schützen müssen.

Hier ist es wichtig, eine gute Balance zu finden. Einerseits ist es wichtig, dass Kinder die sozialen Regeln lernen, andererseits sollen sie aber auch erfahren dürfen, dass ihre Lust vollkommen in Ordnung ist. Sollte ein Kind also den eigenen Körper in einer Situation erleben wollen, in der es nicht passend ist, darf das Kind darauf hingewiesen werden, das lieber später zu Hause in einer sicheren Umgebung zu machen. Bei kleinen Kindern ist die Umsetzung natürlich noch schwer, diese können das aber mit der Zeit gut lernen.

Was versteht man unter dem Gleichwertigkeitsprinzip?

Kinder leben nach dem Gleichwertigkeitsprinzip. Für sie ist es gleichermaßen lustvoll, sich ihr Lieblingsbuch anzusehen, zu singen, wild herumzutanzen, wie auch, sich am Genital zu berühren. Je älter das Kind wird, desto weniger ausgeprägt wird dieses Prinzip. Ein Kind, das sich bei der Geburtstagsfeier nackt ausziehen will, kann durch spannende andere Spielangebote motiviert werden, die Kleidung anzubehalten. Erwachsene, die Sex haben wollen, werden als Ersatzprogramm mit einem guten Buch oder einem Lied nicht mehr zu motivieren sein.

Kinder und Doktorspiele – Deine Meinung?

Grundsätzlich sind Doktorspiele etwas ganz Natürliches. Hier handelt es sich um Erkundungsspiele, bei denen andere Kinder am ganzen Körper, also auch am Genital, entdeckt werden. Bei dieser Art von Spielen ist es immer wichtig, dass Kinder freiwillig mitspielen und auch jederzeit aufhören können. Auch auf den Altersunterschied sollte geachtet werden, bei zu großen Altersunterschieden kommt es automatisch zu Machtungleichheiten.

Altersadäquate Wissensvermittlung.

Neben all diesen körperlichen Erfahrungen brauchen Kinder von Anfang an auch altersadäquate Wissensvermittlung. Die Bezugspersonen verwenden die richtigen Begriffe für die Genitalien, also Vagina, Penis, Hoden, etc.

Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem dein Kind versteckt oder explizit Fragen rund um Sexualität, den Körper, Gefühle, usw. hat: Hier braucht es dann Antworten. Aber bitte nicht damit verwechseln, dass man alle Antworten auf Kinderfragen parat haben muss. Es ist vollkommen okay, wenn man etwas nicht weiß. Hier ist es dann wichtig, sich als Elternteil bzw. Bezugsperson zu informieren und die Antwort nachzuliefern. Sonst kann es passieren, dass die Kinder sich die Antworten an anderen Stellen holen und diese möglicherweise Fehlinformationen enthalten.

Um Kinder sicher und unaufgeregt in ihrer sexuellen Entwicklung begleiten zu können, ist es ratsam, dass sich Bezugspersonen mit der eigenen sexuellen Bildung auseinandersetzen.

Im Zeitalter von sozialen Medien und Smartphones kommen unsere Kinder viel früher in Kontakt mit Themen der Sexualität und auch pornografischen Inhalten. Wie sollten Eltern damit umgehen?

Kinder und Jugendliche wachsen mit sozialen Medien auf, es ist fast unmöglich, ihnen diese langfristig zu verwehren – Und macht auch wenig Sinn. Soziale Medien werden uns begleiten, wichtig ist, den richtigen und sicheren Umgang mit ihnen zu vermitteln.

Wie kann man Fake News erkennen, was darf auf Social Media gepostet werden, welche Art von Bildern darf man per WhatsApp Chat weiterschicken? Zur Sicherheit sollten auch gute Werbeblocker auf den Tablets, Handys und Notebooks installiert werden, damit keine, teilweise verstörenden, Porno PopUps aufpoppen. Jugendliche sollten wissen, was Pornos sind: Fiktion. Übrigens auch eine Info, die viele Erwachsene nicht haben und auch nicht richtig weitergeben.

Gibt es Bücher, die du zu dem Thema empfehlen kannst?

Zur Beantwortung vieler Fragen sind altersadäquate Aufklärungsbücher hilfreich und wichtig. Neben all den Traktor- und Tierbüchern sollten Körperbücher im Bücherregal, später Bücher über Schwangerschaft, Befruchtung und Geburt zu finden sein. In meinem Blog stelle ich einige Aufklärungsbücher für die verschiedenen Altersgruppen vor.

🌈Conny’s Story 🌈