Lesezeit: 7 Minuten

Karen, alleinerziehende Mama von Lilli, aus Wien.

„Grundsätzlich wollte ich mir die Option Kinder zu bekommen immer offen lassen. Mein ehemaliger Partner wollte keine Kinder. Das war schlussendlich auch einer der Gründe, warum wir uns nach vier Jahren Beziehung getrennte haben. Wie es das Schicksal so wollte, haben wir uns auch danach immer wieder bei Fußballmatches unseres Lieblingsvereins „Vienna“ gesehen. Dort sind wir uns körperlich immer wieder nähergekommen und somit nie wirklich voneinander losgekommen – ganze zwei Jahre lang. Einige Zeit haben wir beim Sex nur aufgepasst. Einmal nicht & zack, war ich schwanger!“

Alleine Richtung Geburt

„Nach vielen Gesprächen sah es anfangs für mich so aus, als würden wir es schaffen, gemeinsam durch die Schwangerschaft zu gehen und für unser Kind an unserer Beziehung arbeiten. Wir waren zusammen beim Frauenarzt, als wir das erste Mal den Herzschlag des Kindes hörten. Nur ich wusste überhaupt nichts damit anzufangen. Es fehlte ein spezielles Gefühl – ein „Happy Together“, wie man es eben sonst so schön erzählt bekommt. Nur hier war kein Familien-Glücksgefühl. Auch nach ein paar Terminen bei der Paartherapie, stellte sich heraus – ich war alleine. Ich überlegte lange hin und her, aber da es offensichtlich hatte sein sollen, entschied ich mich auch dafür, es zu behalten. Und mit der 12. Schwangerschaftswoche war für mich klar: Mein Baby bleibt. Der Partner dazu war weg.“

Trümmerhaufen: Wer will schon dieses Leben leben?

„Schon während der Schwangerschaft zweifelte ich immer wieder. Meine eigenen Dämonen kamen durch: Schaffe ich das finanziell? Bin ich mental bereit, ein Kind großzuziehen? Was, wenn mich mein Kind nicht leiden kann? Immerhin werde ich ganz alleine mit dem Kind sein. Sich von der klassischen Mutter-Vater-Kind-Vorstellung, die einem ja bereits als Kind „eingeimpft“ wird, zu verabschieden, war alles andere als leicht.  Ich stand in einem Trümmerhaufen. Und das merkte wohl auch Lilli, als sie noch in meinem Bauch war. Die Geburt erstreckte sich nach insgesamt drei Einleitungen über ganze vier Tage. Meine Mama stand mir bei. Dennoch wollte Lilli nicht wirklich aus mir heraus – auch ich selbst hielt sie wohl zurück. Ich glaubte, sie wollte erst gar nicht in dieses instabile Zuhause starten – wer will schon dieses Leben? Da überdeckte ich meine Zweifel mit Humor und Selbst-Bashing überdeckt und meinte „sie kommt bestimmt schon mit einem Koffer auf die Welt und sagt: Danke, aber baba!“. Als mir Lilli auf meine Brust gelegt wurde, wusste ich gar nicht, was ich empfand – vielmehr spürte ich Panik. Meine erste Aussage war: „Die geht jetzt nimma weg – jetzt gibt’s kein Zurück mehr“. Glücksmomente, von denen andere Mamas oft erzählten, blieben bei mir gänzlich aus.“

Diagnose: Burnout & Belastungsstörung

„Die ersten drei Wochen nach der Geburt war ich die super funktionierende, „ich-check-alles“ Babymama. Ich war sofort mit Lilli unterwegs und zeigte ihr die Welt. Ab der vierten Woche ging plötzlich alles den Bach hinunter. In den ersten sechs Monaten nach der Geburt lebte ich bei meinen Eltern und gab meine Tochter bei jeder Kleinigkeit immer wieder meiner Mama – ich konnte nicht mehr. Ich bin tagelang weinend im Bett gesessen und wollte, dass einfach alles vorbei ist. Ich war innerlich leer. Ich war mit negativen Gedanken beschäftigt und fragte mich oft, was ich hier getan hatte. Es fühlte sich wie ein ewiges Babysitten an, eines, das nie wieder aufhören würde. Wenn ich Lilli stillte, habe ich Rotz & Wasser geheult und sagte zu ihr „Du bist gut so wie du bist, aber Mama geht’s nicht gut“. Die Auseinandersetzung mit mir selbst war die größte Hürde für mich. Es lag nie daran, dass ich den Umgang mit dem Handwerk – also Wickeln, Anziehen, Füttern & Co. – nicht schaffen würde. Es lag einfach an mir und an dem klassischen „als Mama musst du lieben“- Stereotyp, mit dem ich nichts anfangen konnte. Seit meiner Jugend hatte ich immer wieder mit Depression zu kämpfen gehabt. Das Gefühl war also für mich auch nicht unbedingt neu. Deswegen war die Diagnose Burnout & Belastungsstörung keine große Überraschung für mich.“

Adoption als Ausweg?

„Als Lilli etwa drei Monate alt war, ging ich erstmals zu einer Stillberaterin. Das Stillen hat nämlich absolut nicht geklappt und war sehr schmerzhaft. Und mein mentaler Zustand machte es nicht besser. Also klagte ich ihr mein Leid und die Stillberaterin erkannte sofort, worum es ging. Ich brauchte dringend Erleichterung, beispielsweise in Form eines Schnullers, da mich das Cluster Feeding fertiggemachte. Sie sprach auch das Thema Adoption an. Sie sprach den Begriff einfach offen aus und meinte, dass – wenn ich für Lilli wirklich nicht sorgen könnte – es immer die Möglichkeit der Adoption gäbe. Sie legte mir es keineswegs nahe – vielmehr wollte sie mir den Druck nehmen, ein Tabu brechen. Und das tat sie. Für mich war es so erleichternd darüber zu sprechen. Ganz offen eine Adoption zu thematisieren .. und im selben Moment war für mich klar: Mein Mädchen bleibt bei mir. Unsere Liebe darf sich Zeit lassen.“

Emotionale Ups & Downs

„Lilli war fast ein Jahr alt, als ich das Bild einer „Happy Family“ aufgab – irgendwie hatte ich doch immer noch die Hoffnung, dass ich es mit ihrem Papa schaffen würde. Schwachsinn. Dieser Wunsch existierte vermutlich nur, weil es einem die Gesellschaft so vorlebt. Dass diese Beziehung nicht funktionieren würde, wusste bis dahin nur mein Unterbewusstsein. Also siedelten wir in unsere gemütliche Wohnung und ich richtete unser neues Zuhause für uns ein. Ganz wie bei den bekannten „Gilmore Girls“: Mutter & Tochter als eingespieltes Team. Es gab Momente, ich denen ich mir einfach selbst leidtat. Momente, in denen ich mich als Opfer sah und wimmernd im Bett saß. Rückwirkend weiß ich, dass mich das Leben pushen wollte, um meine eigene Kraft zu finden.“

„Sie sprach auch das Thema Adoption an. Sie sprach den Begriff einfach offen aus und meinte, dass – wenn ich für Lilli wirklich nicht sorgen könnte – es immer die Möglichkeit der Adoption gäbe. Sie legte mir es keineswegs nahe – vielmehr wollte sie mir den Druck nehmen, ein Tabu brechen.“

– Karen –

Externe Hilfe angenommen

„Endlich am Weg der Besserung, kam ein neuer Tiefschlag: Ich verlor kurz vor der Corona Pandemie meinen Job. Ich wusste, ich bin depressiv, nur hatte ich keine Kraft mehr, bei der zuständigen Stelle anzurufen. Es dauerte rund eineinhalb Jahre, bis ich mich aufraffen konnte und externe Hilfe annehmen konnte. Seither steht mir ein Expertenteam zur Verfügung – unterstützend nehme ich Antidepressiva, damit ich wieder Energie habe, meine Probleme und Muster langfristig zu verarbeiten. Außerdem besucht Lilli seit ihrem 20. Lebensmonat regelmäßig den Kindergarten, sodass ich mich auf mich und meine Weiterentwicklung konzentrieren kann. Und dazu zählt es ebenso auch einmal ein Buch zu lesen. Zu meinen Lieblingsbüchern zählen „Down came the rain“, „Das gewünschtestete Wunschkind“, „Mein kompetentes Baby“ und „So viel Freunde, so viel Wut“. Diese Lektüren lieferten für mich wertvolle Informationen und Geschichten, die mich ermutigten und mich besser verstehen ließen. Dennoch ist es für mich wichtig, mein eigenes Leben durch Lilli zu reflektieren und erst dann zu entscheiden, welche Ansätze bei uns gut klappen könnten. Selbstreflexion ist das A&O für mich und auch wenn es viel Kraft kostet und oft schmerzt, ist es das beste Heilmittel zu einem liebevollen Miteinander. Heute fühle ich mich stark genug, für sie die Mutter zu sein, die ich sein möchte. Ich bin authentisch – mit all meinen Gefühlen, Stärken und Schwächen, Höhen und Tiefen und möchte ihr vorleben, dass es wichtig ist, offen zu zeigen und darüber zu reden, wie es einem geht. Nach dem Motto: Alles darf, nichts muss.“

Interview mit Karen im Februar 2021.