Niklas
Wie wir an drei Wochen im Krankenhaus gemeinsam gewachsen sind
Marion, ihr Mann Daniel und ihr Sohn Niklas (2,5 Jahre) lernten nach einem Unfall ihres Sohnes, dass man als Familie natürlich seine Ups and Downs hat, aber dass man mit Einsatz und Kraft und der richtigen Haltung alles schaffen kann.
Der Weg zur Selbständigkeit als junge Mutter
Direkt nach ihrer Karenz beschloss Marion, den Schritt in die Selbständigkeit als Unternehmensberaterin, Coach und Trainerin zu wagen – nicht immer ein leichtes Unterfangen mit einem kleinen Kind, aber ein Kind verändert die Perspektive auf das, was man wirklich machen möchte und wofür man seine Zeit nutzen möchte. Nach einigen Monaten der Planung und der Erstellung eines Businessplans, Gesprächen mit möglichen Geschäftspartnern, dem Aufsetzen einer Webseite und einer eher schwierig verlaufenden Eingewöhnung im Kindergarten war es Anfang 2020 endlich soweit: Sie war bereit, voll durchzustarten! Und dann kam Mitte März die Schockstarre: Lockdown! Die Kinderbetreuung war weg, Zweifel und Sorgen über die Zukunft ihres noch so jungen Unternehmens kamen auf. Die Lösung der angespannten Kinderbetreuungs-Situation mit zwei berufstätigen Eltern fand sich darin, dass das Paar beschloss, für die Zeit des Lockdowns mit ihrem Sohn zu Marions Eltern auf das Land zu ziehen – so konnten sie im gemeinsamen Haushalt leben, dadurch das Ansteckungsrisiko verringern und hatten gleichzeitig Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Nach einigen Tagen, in denen sich alle ein wenig aneinander gewöhnen mussten, waren alle gut aufeinander eingespielt, das junge Business konnte nun weitergehen.
Lockdown mit Hindernissen –
im wahrsten Sinne des Wortes
Bis sich ihnen das nächste Hindernis in den Weg stellte – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Woche, nachdem sie auf das Land gezogen waren, stolperte der damals eineinhalb-jährige Niklas auf dem Weg von der Küche ins Wohnzimmer über ein Hindernis, stürzte auf den Boden, begann, schrecklich zu weinen und stand nicht mehr auf. Marion war sofort klar, dass etwas Schlimmeres passiert war. Der erste Gedanke, der ihr in den Sinn kam, war, dass sie – obwohl sie nur ca. einen Meter von ihrem Sohn entfernt gewesen war – nicht in der Lage gewesen war, ihn zu beschützen. Doch was sollte man nun in Lockdown-Zeiten in solch einer Situation unternehmen? Zum Arzt konnte man nicht einfach so gehen, also rief sie den Rettungsdienst an. Diese holte sie und ihren Sohn kurz darauf ab, um sie ins nächstgelegene Krankenhaus zum Röntgen zu bringen. Mit einem schnell gepackten Rucksack für den Tag bepackt, machten sie sich auf den Weg. Im Krankenhaus wurde beim Röntgen gleich ein Oberschenkelbruch bei Niklas diagnostiziert. Die Therapie: 3 Wochen Bettruhe im Spital mit einer so genannten Overhead-Extension, bei der die Beine des Kindes mit einem Streckverband nach oben gestreckt und aufgehängt werden, um den Knochen wieder in die richtige Position zu bringen und die Dehnung zu gewährleisten. Ein wahr gewordener Albtraum für jede Mutter in vielerlei Hinsicht! Nicht nur, zusehen zu müssen, wie ihrem Sohn in Narkose das Bein eingerenkt und auf die Extension aufgehängt wurde, mit den eigenen Schuldgefühlen fertig werden zu müssen und ihren Sohn trösten zu müssen, dann machte auch noch Corona die ganze Situation schwieriger: Ihr Mann durfte nicht ins Krankenhaus kommen und es sah so aus, als ob Marion die nächsten drei Wochen durchgehend alleine mit ihrem Sohn im Krankenhaus verbringen musste – ohne Pause.
Drei scheinbar endlose Wochen
Nach einer quasi durchwachten Nacht, in der Marion einerseits selbst nicht mehr aufhören konnte, zu weinen und in der auch ihr Sohn vor Schmerzen und Verwirrung viel weinte und alle paar Stunden aufwachte, versuchte sie, die Situation langsam zu erfassen und zu verarbeiten. Die ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen waren eine große Unterstützung und meinten, dass ihr Sohn spüren könne, wie sie selbst mit allem umgeht – je weniger Drama sie selbst mache und je mehr sie die Dinge positiv sehen könne, umso leichter sei es auch für ihn, damit umzugehen. Außerdem seien Kinder sehr gut darin, neue Situationen hinzunehmen – eine Aussage, die sich bereits nach ein paar Tagen bestätigte. Niklas gewöhnte sich rasch an die Extension und fing mit der Zeit an, darin herumzuturnen und sich zu bewegen. Ein gutes Zeichen für einen erfolgreichen Heilungsprozess, wie die ÄrztInnen Marion mitteilten. Dennoch war Marion nach einigen Tagen voller Sorgen, Schlafmangel und durchgehender Bespaßung ihres ans Bett gefesselten Sohnes mit ihren Energien am Ende – wie sollte sie noch weitere zwei Wochen ohne Unterstützung ihres Mannes oder ihrer Familie durchhalten? So führten die beiden lange Gespräche mit der Spitalsleitung, bis diese endlich zustimmte, dass ihr Mann zumindest jeweils am Wochenende eine Nacht statt ihr bei ihrem Sohn verbringen durfte, damit sie sich ein wenig erholen konnte. Natürlich waren er, Freunde und Familie auch viel per Videotelefonie, mit Päckchen und Geschenken unterstützend da, aber aufgrund von Corona durften sie sich drei Wochen alle nicht sehen.
„Held der Station“
Mit der Zeit entwickelte Marion jedoch eine immer positivere Einstellung und wurde somit mit ihrem Sohn langsam zu den „Helden der Station“, weil sie so viel positive Energie ausstrahlten. Die Tage vergingen mit Spielen, Lesen, ein bisschen Fernsehen und viel Geduld und Niklas turnte immer häufiger und wilder im Bett herum. So wurde am Gründonnerstag bereits ein paar Tage vor dem Ende der drei Wochen entschieden, dass die Overhead-Extension heruntergenommen werden könne und die beiden endlich wieder nach Haus durften. Da sich bei Kleinkindern dieses Alters Muskeln jedoch sehr schnell auf-, aber auch wieder abbauen, waren die Muskeln von Niklas zunächst so verkümmert, dass er nicht mal mehr sitzen konnte. Daher blieben die beiden noch einen Tag länger im Krankenhaus, um zu lernen, wie Marion ihren Sohn tragen und bewegen durfte und welche Übungen sie mit ihm durchführen konnte. Nach der Entlassung am Karfreitag war das Osterfest zuhause mit der Familie umso schöner – endlich war das Schlimmste geschafft!
Die Zeit danach: Die Kunst, nicht zu beschützend zu sein
Es dauerte ca. zwei bis drei Wochen, bis Niklas wieder sitzen und gehen konnte. Nach einigen Osteopathie- und Ergotherapie-Behandlungen und auch mentaler Arbeit mit ihrem Sohn ist er inzwischen wieder völlig gesund und munter. Für Marion und ihre Familie war es danach zunächst schwierig, ihren Sohn nicht in einen „Gläsernen Käfig“ zu sperren und ihn vor allem beschützen zu wollen. Auch die Großeltern, in deren Haus der Unfall ja passiert war, agieren seitdem noch behütender als zuvor. Marion und ihr Mann mussten lernen, dass man ein Kind nicht vor allem beschützen kann, dass man vielmehr als Eltern ein Begleiter, Mentor und „sicherer Hafen“ für sein Kind ist. „Mit viel Einsatz und Kraft kann man viele Dinge stemmen. Auch, wenn ich jetzt auf meine Selbständigkeit zurückblicke: In dem Jahr, wo das passiert ist, bin ich voll durchgestartet. Das Erlebnis hat uns als Familie, als Paar und als Eltern zusammengeschweißt. Als Familie haben wir unsere Ups and Downs, so wie jede Familie, aber wir haben gelernt, dass wir unser Kind nicht vor allem schützen können, es aber im Prozess begleiten können. Und wir haben gelernt, dass unsere Haltung und unser Mindset sehr viel dazu beitragen, wie es dem Kind geht“, so Marion.
„Mit viel Einsatz und Kraft kann man viele Dinge stemmen. Auch, wenn ich jetzt auf meine Selbständigkeit zurückblicke: In dem Jahr, wo das passiert ist, bin ich voll durchgestartet. Das Erlebnis hat uns als Familie, als Paar und als Eltern zusammengeschweißt. Als Familie haben wir unsere Ups and Downs, so wie jede Familie, aber wir haben gelernt, dass wir unser Kind nicht vor allem schützen können, es aber im Prozess begleiten können. Und wir haben gelernt, dass unsere Haltung und unser Mindset sehr viel dazu beitragen, wie es dem Kind geht“
– Marion –
Interview mit Marion im März 2021.